Winterprognose 2016/2017 – Die Kaltluft ist angerichtet!

Sibirien klirrt bereits vor Kälte und die Kaltluftmassen haben sich bereits bis Russland und Skandinavien ausgebreitet. Jetzt muss sich nur noch eine Wetterlage mit einem Zirkulationsmuster, die diese Kaltluft anzapft und zu den Alpen steuert, einstellen. 

Es ist wie beim Bergsteigen, wenn das Ziel bereits zum Greifen nahe ist. Aus der Ferne sieht alles sehr einfach aus. Mit der Annäherung erkenne ich erst die Tücken des Geländes mit allen Hindernissen. Dann kommt es oft auf das Wegeglück an, ob ich auf den Gipfel gelange, zur Umkehr gezwungen werde und einen neuen Anlauf von ganz vorne nehmen muss. Beim Wetter ist es die passende Wetterlage, die darüber entscheidet, ob die Kaltluft – die notwendige Zutat für Winterwetter – das betrachtete Ziel (die Alpen) erreicht.

Aus heutiger Sicht kann niemand verlässlich vorhersagen, ob wir in den Einfluss der Kaltluft gelangen.
Aus dem aktuellen Zustand von Einflussfaktoren in Atmosphäre, Ozeane, Landmassen und unseres Lieferanten aller Lebensenergie, der Sonne, und bekannten Gestzmäßigkeiten dieser Parameter werde ich in der nachfolgenden Analyse meine vorläufige Winterprognose erstellen.

Mit meiner ersten gedanklichen Annäherung an den bevorstehenden Winter in 09/2016  habe ich begonnen, die meines Erachtens wichtigsten Einflussfaktoren zu analysieren und soweit zu diesem Zeitpunkt bereits möglich zu bewerten. Nun sind weitere 6 Wochen vergangen und das Winterpuzzle nimmt langsam Kontur an.

Der Beitrag mit meiner erste Wintertrendanalyse gliedert sich wie folgt:

1. Profiklimamodelle
2. Wetterregeln
3. Analyse (klimatologischer) Einflussfaktoren
4. Aktueller atmosphärischer Zusatnd der NH
5. Resümee

 

 

1.

 Geht es nach den Profiklimamodellen, so wird einem kalten oder durchschnittlich temperierten Winter ganz klar eine Absage erklärt.
Die Prognosen dieser Modelle für den letzten Winter wiesen eine gute Trefferquote auf. Allerdings werden in einem alles überlagernden Super-ElNino Jahr die üblichen Gesetzesmäßigkeiten weitgehend außer Kraft gesetzt, weswegen die „Mildprognosen“ nicht verwunderlich waren.

Ich persönlich stehe diesen Prognosen gerade heuer aber recht skeptisch gegenüber, weil der aktuelle Zustand der Atmosphäre nicht vergleichbar ist mit dem Vorjahr und die Langfristprognosen der zitierten Profimodelle für die beiden vergangenen Monate September und Oktober z.T. nicht eingetreten sind.

 

1.1. ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik)

06-11-2016-t2m-anom-zamg

Die ZAMG erfasst derzeit nur die Monate Nov. bis Jan. und gibt nur eine Wahrscheinlichkeit für die Temperaturabweichung vom langjährigem Mittel 1981-2010 an. Wenn man den November ausklammert,  geht die ZAMG von einem Temperaturüberschuss für De/Jan aus.

Quelle:  Monatsmitteltemperatur ZAMG

 

1.2. DWD (Deutscher Wetterdienst)

Auch der DWD geht von einem leicht zu milden Winter aus. Hier ist jedoch zu erwähnen, dass der DWD noch mit dem Klimamittel 1961-1990 arbeitet. Da in diese Zeit noch das Temperaturniveau vor der „Klimaneuzeit“ mit der starken Erwärmung in den 90-iger Jahren beinhaltet, würde dies ein durchaus normales winterliches Temperaturniveau bedeuten. 

06-11-2016-t2anom-dwd

Quelle: Jahreszeitenvorhersage DWD

 

1.3. NOAA/CPC (National Oceanic and Atmospheric Administration/Climate Prediction Center)

Das experimentelle Klimamodesll der NOAA setzt noch „einen drauf“.  Eine prognostizierte Abweichung von knapp +2 K  bezogen auf den Zeitraum 1999-2010 wäre ein absoluter Mildwinter: 
06-11-2016-eut2-noaa

Wie schon weiter oben erwähnt, betrachte ich die Berechnungen dieses Modells mit großer Skepsis, denn noch im vergangenen Sommer hat dieses Modell eine durchschnittliche Temperatur für September und einen Temperaturüberschuss für Oktober vorhergesagt.
Die Wirklichkeit sah etwas anders aus: einem September mit einem Rekordtemperaturüberschuss folgte ein zu kalter Oktober.

Die Niederschläge weisen keine großen Abweichungen auf, deuten auf eher hohes Geopotential im Mittelmeerraum und Atlantikdominanz nördlich der Alpen hin:

06-11-2016-euprec-noaa

Quelle: CPC

 

1.4. NASA (National Aeronautics and Space Administration)

Noch im Oktober ging die NASA von durchschnittlichen Mitteltemperaturen für den mitteleuropischen Winter aus. Die gerade aktualisierte Prognose hat sich an NOAA/CPC  angepasst:

06-11-2016-t2m_anom_nasa

Quelle: Experimental Seasonal Forecasts NASA

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2.

Eine Wetterregel, die die obigen Mildprognosen der Profimodelle stützt und eine statistisch hoher Trefferquote aufweist, lautet:

Einem September mit einem Temperaturüberschuss von >2 K  kombiniert mit einen zu feuchten und zu kalten Oktober folgt mit größter Wahrscheinlichkeit ein zu milder Winter.

Die Kombination milder September mit feuchtkaltem Okober war heuer vorhanden.

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Ist der Mildwinter damit in trockenen Tüchern?

Ich sage „Nein“,
– denn auf die Unwegbarkeiten mit Überraschungspotential einer Langfristprognose habe ich bereits weiter oben hingewiesen
– und die nachfolgend analysierten klimatologischen Randfaktoren mit Einflusspotential auf das Wetter in den Wintermonaten sprechen eine andere Sprache.

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3.

Betrachtete Klimatologische Randfaktoren

3.1. Der aktuelle Sonnenfleckenzyklus steuert auf ein Minimum (2020) zu. Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen inaktiver Sonne und Atlantkblockaden (= höhere Wahrscheinlichkleit für kalte Nordlagen in ME)  ergeben.

 

3.2. Ein weiterer Einflussfaktor, der über Telekonnektion wirkt, ist die QBO (Quasi Binäre Oszillation).
Die QBO ist eine regelmäßig wiederkehrende Schwingung des zonalen Windes in der unteren und mittleren tropischen Stratosphäre. Das heißt, dass sich zwischen 12km und 30km Westwinde mit Ostwinden abwechseln. Im Mittel beträgt diese Periode 28 Monate.
Untersuchungen haben ergeben, dass eine Schwächung der arktischen Oszillation und kältere Winter über Europa durch die Ostwindphase begünstigt werden und umgekehrt.

Aktuell und im folgenden Winter befindet sich die QBO in der unteren Stratosphäre in der Ostwindphase, was eine Schwächung der AO (Arktischen Oszillation) bedeutet und Kaltlufteinbrüche nach ME begünstigt

 

3.3. Der Blick auf den tropischen Pazifik zeigt uns, dass nach dem Super-ElNino 2015 die leichte LaNina-Bedingungen eingekehrt sind. Untersuchungen zeigen, dass ElNino und LaNina die nordatlantische Oszillation (NOA) beeinflussen, u.z. wird in  LaNina-Jahren die Westtrift (positive NOA) begünstigt.
Erkennbar sind die LaNina Bedinungen an der verwellten negativen Temperaturabweichung (blau) der Meeresoberfläche entlang des Äquators:

07-11-2016-lanina

Quelle:  SST

 

Die Abweichung ist relativ schwach, sodass die LaNina Bedingungen im Winter noch nicht gesichert sind. Erst bei einer negativen Temperaturabweichung <0,5 K sind die Bedingungen erfüllt: 

06-11-2016-nino34

Quelle: NOAA

 

Da LaNina mit der PDO (pazifische Dekadenoszillation) interagiert und in der positiven Phase, die bei einer positive Temperaturanomalie des Meerwassers im NO des Pazifiks (Küste Alaska/Kanada) vorhanden ist, geschwächt wird, sehe ich hier keine Auswirkung auf die NAO und damit auf den bevorstehenden Winter in ME.

Etwas Kopfzerbrechen bereitet mir der „kalte Fleck“ im Nordatlantik (siehe obige Karte mit der SST-anomaly). Er ist im Sommer weitgehend verschwunden, sodass ich von ihm keine Beeinflussung der NAO ableitete. In den letzten Wochen hat sich die Kaltwasseranomalie im Nordatlantik wieder regeneriet und weist große Ähnlichkeiten mit dem Vorjahr auf. Ob dies nur eine vorübergehende Erscheinung ist, etwa durch vom Wind aufgewühltes Tiefenwasser, oder ein bleibender Zustand, werde ich beobachten.

3.4. Der Rückgang des arktischen Meereisese ist eine Folge des Klimawandels und steht nachgewiesenermaßen im direkten Zusammenhang mit anthropogenen CO2-Ausstoß. Die arktische Meereisausdehnung hat nach dem letzen Sommerhalbjahr den zweitniedrigsten Stand nach 2012 erreicht,  Ende Oktober sogar das absolute Minimum. Das Rekordjahr 2012 wurde unterboten:

06-11-2016-eisausdehnung-sunshinehours

 

06-1-2016-eisausdehnung-monat

Quelle: sunshinehours.net

Offene Meereisflächen absorbieren Sonnenenergie, werden wärmer und geben Wärme an die darüberliegende Atmosphäre ab. Die Folgen sehen wir an der heuer ungewöhnlich starken positiven Temperaturabweichung in der Arktis (siehe Anomalkikarten im weiteren Verlauf des Beitrags bei WACCy).

 

3.5. Gleichzeitig ist die Schneebedeckung Eurasiens (Sibirien und Nordeuropa) im Oktober überdurchschnittlich  stark ausgebildet und schreitet bei der derzeitigen Druckkonstellation der NH weiter fort:

06-11-2016-multisensor_4km_ea_snow_extent

Quelle: NOAA

 

06-11-2016-multisensor_4km_nh_snow_ice

Quelle: NOAA

 

3.6. Die beiden zuletzt beschriebenen Phänomene (Rückgang der arktischen Meereisausdehnung und überdurchschnittlicher Schneedeckenausdehnung über Eurasien im Oktober) verursachen in Kombination ein Folgephänomen: WACCy (warm arctic cold continents). Das „y“ wird dann einfach aus Spaß noch dran gehängt, da es sich dann so ausspricht wie das englische Wort „wacky“ = „verrückt“.

Eindruckvoll veranschaulicht wird dies durch die Temperaturanomaliekarten im Oktober 2016:

06-11-2016-anom2m_cfsr_gfs_oct-jpg

06-11-2016-anom2m_cfsr_gfs_1610_arctic-oct

 

Welche Auswirkungen für den Winter 2016/2017 lassen sich daraus ableiten?

Die eisfreien Flächen des arktischen Ozeans, die vor Jahren um diese Zeit bereits zugefroren waren, geben die gespeicherte Sonnenenergie ungehindert an die darüberliegende Luft der Atmosphäre ab. Dadurch kühlt die Arktis langsamer ab. Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf des Meeres aufnehmen, der dann seinerseits über den angrenzenden bereits stark abgekühlten Landmassen kondensiert und zu Schneefällen führt. Dies begünstigt, so wie im letzten Oktober geschehen, eine rasche Ausdehnung der Schneedecke. Aufgrund der großen Albedowirkung von Schnee erfolgt eine früh einsetzende rasche Kaltluftproduktion über dem Kontinent und der Aufbau eines markanten Kältehochs. Diese Kaltluftmassen sind träge und persistent und beeinflussen im weiteren Verlauf des Winterhalbjahres die Zirkulation der NH (nördlichen Hemisphäre) wie von Judah Cohen im nachfolgenden Modell beschrieben:

06-11-2016-snow_cover_model_full_size

 

Natürlich ist die durch das Phänomen WACCy verursachte Amplifizierung des Jetstreams und Ausbreitung von Wellen in die Stratosphäre, die im Kernwinter durch ein mögliches MW (Major Warmung) den troposphärischen PW (Polarwirbel) destabilisieren oder splitten und für Meridionalisierung der Zirkulation sorgen, kein Garant für einen kalten Winter in ME. Die Wahrscheinlichkeit für einen längeren winterlich kalten Wetterabschnitt steigt aber erheblich durch Kaltluftausbrüche bis in mittlere Breiten; d.h. auch für ME.

 

4.

Die aktuelle Druckstruktur/Zirkulation der NH, wie sie sich im Oktober eingestellt hat,  ist sehr „winterfreundlich“. Der PW hat sich heuer im bisherigen Herbstverlauf sowohl in der Troposphäre, unserer Wetterküche, als auch in der darüberliegenden Stratosphäre  sehr schwach entwickelt. 

Ein starker PW braucht einen ebensolchen zonal ausgerichteten Jetstream, der die Kaltluftmassen über dem Pol einschließt und ein Ausfließen in südlicher Breiten verhindert. 

Das aktuelle Zirkulationsmuster zeigt einen stark mäandrierenden Jetstream mit deutlichen Einbuchtungen zum Pol, die einerseits einen Warmlufttransport in die Arktis markieren und andererseits  östlich davon Kaltluftausbrüche nach Süden induzieren:

07-11-2016-gfsnh-5-6

 

Die Simulationen der Modelle gehen zwar von einer Stärkung des PW´s im weiteren Verlauf des Novembers aus. Damit wird eine Milderung und eine Phase atlantikdominierten Wetters einhergehen. Eine nachhaltige Stabilisierung mit dauerhafter Zonalisierung der Zirkulation ist aber nicht erkennbar.

Die über die Ensemblerechnung des amerikanischen GFS  gemittelte Druckkonstellation für Mitte des Monats zeigt zwar einen erstarkten PW, aber nach wie vor leicht meridionale Strukturen mit leicht aufgewölbtem Azorenhoch am Nordatlantik, dem Kältehoch über dem   Kontinent und dazwischen einen Trog über ME:

07-11-2016-gensnh-21-1-240

 

Sollte sich eine Erhaltungs-/ oder Wiederholungsneigung der NH-Zirkulation etablieren, wäre das eine starke Weichenstellung für einen unterkühlten Winterverlauf.
Die wissenschaftliche Plattform AER (Atmispheric and Evironmental Research)  mit den regelmäßigen Untersuchungen der arktischen Oszillation und der Entwicklung des PW´s geht in seiner letzten Analyse nach einer kurzen Stabilisierung  von einem weiterhin geschwächten PW aus, was die Wahrscheinlichkeit für kaltes Wetter in Europa erhöhen würde.

 

 

5.

Nach dieser ausführlichen Analyse das vorläufige Resümee meiner Winterprognose / Wintertrendeinschätzung 2016/2017:

Ich erwarte einen durchschnittlich temperierten bis leicht zu kühlen Gesamtverlauf des Winters, d.h. die kalten Wetterabschnitte werden milde Wetterphasen im Mittel ausgleichen oder sogar überwiegen. Dies führe ich auf eine Fortsetzung häufiger meridionaler Zirkulation und gradientenschwacher Wetterlagen, die die vor-Ort Kaltluftproduktion im Winter begünstigen.
Die Niederschläge werden dem langjährigem Durchschnitt entsprechen und vor allem in höheren Lagen für eine dauerhafte Schneedecke sorgen.
Aufgrund der sich abzeichnenden GWL-Umstellung auf zonaleres Zirkulationsmuster in der zweiten Novemberdekade erwarte ich mit atlantischen Fronten aus NW bereits im Verlauf des Novembers den Aufbau einer stattlichen Schneedecke im Bergland nördlich des Alpenhauptkammes, speziell in den Nordalpen.

 

Dass ich mit meiner momentanen Einschätzung konträr zu den Profimodellen liege, soll nicht heißen, dass ich aus Prinzip gegen den Strom schwimme oder Wunschdenken dominiert. Sie spiegelt rein sachlich die von mir interpretierten Auswirkungen der analysierten Einflussfaktoren, die deutliche Anzeichen für einen kalten Winter darstellen.
Mir ist dabei bewußt, dass es im chaotischen System der Atmosphäre komplexe, nicht vorhersagbare Wechselwirkungen zwischen den Phänomenen gibt, die ein vorhergesagtes Muster derart beeinflussen können, dass sie vom prognostizierten Wettercharakter abweichen bis zum gegensätzlichen Verhalten.
Die geringe arktische Meereisausdehnung mit dem geringsten Wert seit einigen Jahrzehnten Ende Oktober, die überdurchschnittlich weit fortgeschrittene Schneedecke Eurasiens und der im Oktober erfolgte Bruch der GWL mit instabilem PW und Atlantikblockade sind maßgeblich ausschlaggebend für mein Resümee.

Eine Aktualisierung mit Berücksichtigung der Weichenstellungen im November und damit meine endgültige Winterprognose erfolgt zum meteorologischen Winterbeginn.

 

Quellverweis auf zwei interessante Wetterseiten, die zu einem besseren Verständnis von synoptischen und klimatologischen Zusammenhänge bei der Erstellung meiner Winterprognose beigetragen haben:

kaltwetter.com
fotometeo.ch

5 Gedanken zu „Winterprognose 2016/2017 – Die Kaltluft ist angerichtet!“

  1. Danke Franz, wirklich eine umfassende und profunde Analyse, welche ich heute sogar zweimal durchgelesen habe.
    Ich freue mich immer sehr auf deine Beiträge und lasse keinen aus. Ich kann einiges dazu lernen.
    Ganz viele Grüße

    Haimo

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